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Rassistische Straftaten erkennen und verfolgen

Polizist*innen können sich oft nicht in die Situation von Opfern rassistischer oder antisemitischer Gewalt einfühlen. © istock.com/Gwengoat

Rassistische und antisemitische Straftaten werden in Deutschland nicht konsequent verfolgt. In Ermittlungsbehörden und Justiz fehlt es häufig an Problembewusstsein und Wissen über die Situation der Betroffenen. Was muss sich ändern, damit Menschen mit Rassismuserfahrung nicht nur auf dem Papier Zugang zum Recht erhalten? Das Institut hat in zwei Modellprojekten Handlungsempfehlungen erarbeitet.

Polizeibeamt*innen, die sich weigern, eine rassistisch motivierte Tat als Anzeige aufzunehmen oder sie bagatellisieren. Polizeiliche Ermittlungen, bei denen trotz Sprachbarrieren keine Dolmetscher*innen hinzugezogen werden, Richter*innen, die den Opfern unterstellen, erst Beleidigungen oder körperliche Übergriffe seitens des Opfers habe die Situation eskaliert: all das erleben Betroffene von Rassismus und Antisemitsmus in Deutschland immer wieder.

„Rassistische, antisemitische und rechtsextreme Straftaten werden in Deutschland nicht konsequent verfolgt und als solche behandelt. Das Thema Rassismus muss in der alltäglichen Justiz- und Polizeipraxis verankert, die Strafverfolgung und der Schutz der Opfer müssen nachhaltig verbessert werden“, fordert Beatrice Cobbinah, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts in zwei Modellprojekten. Ziel des im Dezember 2022 beendeten Projekts war es, die Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus, insbesondere in der Strafjustiz und den Ermittlungsbehörden zu fördern. „Es ist eine menschenrechtliche Verpflichtung, rassistisch motivierte Straftaten als solche zu benennen und Menschen mit Rassismuserfahrungen diskriminierungsfreien Zugang zum Recht zu verschaffen“, ergänzt Chandra-Milena Danielzik, die die Projekte gemeinsam mit Cobbinah durchgeführt hat.

Eine juristische Definition von rassistischer Diskriminierung fehlt nach wie vor

Woran liegt es, dass rassistische Tatmotive nicht erkannt und verfolgt werden? Zum einen daran, dass es nach wie vor keine juristische Definition von Rassismus oder rassistischer Diskriminierung gibt. „Das Thema ist in der Rechtsprechung und in juristischen Kommentaren nicht ausreichend aufgearbeitet. Das führt immer wieder zu Unsicherheiten in der Anwendung der entsprechenden Normen des Strafgesetzbuchs“, so Danielzik.

Zum anderen zeigte sich in zahlreichen Gesprächen mit Beratungsstellen sowie Angehörigen von Polizei und Justiz, dass diese sich oft nicht in die Situation von Opfern rassistischer und antisemitischer Gewalt einfühlen und die Auswirkungen von vorurteilsbezogener Gewalt auf Betroffene nur schwer nachvollziehen können. „Es braucht mehr Verständnis und Wissen darüber, dass Opfer die Gewalt auf individuell unterschiedliche Art und Weise bewältigen. Das ist wichtig, damit weitere negative Folgen wie eine Retraumatisierung für die Betroffenen, vermieden werden können“, sagt Cobbinah. Vor allem Richter*innen sind im Umgang mit stark traumatisierten Zeug*innen nicht ausreichend ausgebildet. Einheitliche Standards für den Schutz der Betroffenen in Ermittlungs- und Strafverfahren gibt es nicht. Opferschutzmaßnahmen wie audiovisuelle Aufzeichnung von Vernehmungen oder psychosoziale Prozessbegleitung – die im Bereich der sexualisierten und häuslichen Gewalt mittlerweile üblich sind – werden in Gerichtsverfahren zu vorurteilsmotivierter Gewalt nicht eingesetzt. „Durch solche Maßnahmen könnten relativ schnell Verbesserungen für die Betroffenen erreicht werden“, ist sich Cobbinah sicher.

„Es ist eine menschenrechtliche Verpflichtung, rassistisch motivierte Taten als solche zu benennen und Menschen mit Rassismuserfahrungen diskriminierungsfreien Zugang zum Recht zu verschaffen.“

Chandra-Milena Danielzik 
Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts

Die Perspektive der Betroffenen wird nicht ausreichend einbezogen

Ein weiteres Hindernis für eine effektive Verfolgung rassistisch und antisemitisch motivierter Straftaten ist die (unbewusste) Reproduktion rassistischer und antisemitischer Einstellungen im Ermittlungsverfahren und vor Gericht. Dies zeigt sich beispielsweise an der sogenannten Täter-Opfer-Umkehr in polizeilichen und gerichtlichen Verfahren, über die Beratungsstellen und Vertreter*innen der Nebenklage dem Institut gegenüber immer wieder berichten. Etwa wenn Polizist*innen am Tatort zuerst mit den weißen Verdächtigen sprechen und sich den Tathergang aus deren Perspektive schildern lassen. Oder wenn Richter*innen den Betroffenen bei der Zeugenvernehmung eine Mitschuld am Geschehen unterstellen. Dies hat zur Folge, dass die Perspektive der Opfer bei der Ermittlung des Tatmotivs nicht ausreichend einbezogen wird. Verinnerlichte rassistische Wissensbestände und Denkweisen können sich auch auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von rassismusbetroffenen Zeug*innen auswirken. So berichten Berater*innen, die Zeug*innen zu Vernehmungen oder Gerichtsverhandlungen begleiten, dass den Aussagen von Menschen, die als migrantisch wahrgenommen werden, weniger Glauben geschenkt werde.

Strukturelle Veränderungen im Behördenalltag nötig

Damit sich grundsätzlich etwas ändert, sind nicht nur individuelle Fortbildungen gefragt, sondern strukturelle Veränderungen im Behördenalltag. Hier muss die Politik auf Bundes- und Länderebene aktiv werden und eine Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus in Ermittlungsbehörden und Justiz gezielt fördern. „Leider ist das Problembewusstsein an vielen Stellen noch nicht vorhanden“, konstatiert Cobbinah. „Politik und Ermittlungsbehörden negieren nach wie vor, dass es institutionellen Rassismus in Deutschland gibt.“ Um diesen effektiv bekämpfen zu können, müsse die jeweilige Behörde das Thema ganz oben auf die Agenda setzen.

Wie können grundlegende Veränderungen erreicht werden? „Von rassistischer und antisemitischer Gewalt betroffene Menschen brauchen Anlaufstellen und Ansprechpartner*innen bei Polizei und Justiz“, fordert Danielzik. Außerdem sollten in allen Bundesländern spezialisierte Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und unabhängige Polizeibeschwerdestellen eingerichtet werden. Wichtig sind auch regelmäßige Fort- und Weiterbildungsangebote für Mitarbeiter*innen der Polizei und Justiz sowie ein institutionalisierter Austausch zwischen Beratungsstellen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sowie Strafverfolgungs- und Justizbehörden.

Publikationen zu diesem Thema

Ansprechpartner*in

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Telefon: 030 259 359 - 27

E-Mail: allenberg(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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Dr. Hendrik Cremer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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E-Mail: cremer(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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