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Wenn Frauen Gewalt erfahren, nur weil sie Frauen sind

In Deutschland erlebt laut BMFSFJ jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt. © iStock/Jelena Stanojkovic

Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen – weltweit und in Deutschland. Um sie zu verhindern, braucht es mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Betroffenen. Das Institut arbeitet seit dem 1. November 2022 als unabhängige Berichterstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt.

Täglich und überall: Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen – weltweit und auch in Deutschland. Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlebt in Deutschland jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt. Betroffen sind Frauen und Mädchen aus allen sozialen Schichten, aller Altersgruppen und Bildungsbiografien, Geflüchtete und Migrantinnen ebenso wie Frauen ohne Migrationshintergrund. Geschlechtsspezifische Gewalt hat viele Formen: körperliche und sexualisierte Misshandlungen, emotionale und psychische Grausamkeit oder ökonomischer Druck. Auch die Androhung von Gewalt zählt dazu, genauso wie Nötigung oder willkürliche Freiheitsentziehung.

Die Ende November veröffentlichte kriminalstatistische Auswertung des Bundeskriminalamts zur Partnerschaftsgewalt im Jahr 2021 belegt einmal mehr die gesellschaftliche Dimension von Gewalt gegen Frauen und insbesondere häuslicher Gewalt: So ist die Zahl der Betroffenen im kriminalistischen Hellfeld von 138.893 Betroffenen im Jahr 2017 auf 143.604 Betroffene im Jahr 2021 angestiegen. Partnerschaftliche Gewalt richtet sich besonders gegen Frauen: 80,3 Prozent der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt im Jahr 2021 waren weiblich. Die Daten aus dem Hellfeld bilden dabei nur einen kleinen Ausschnitt der Dimension geschlechtsspezifischer Gewalt ab: ein Großteil der Gewalttaten wird nicht zur Anzeige gebracht. In kaum einem anderen Bereich ist das Dunkelfeld so groß wie im Bereich sexualisierter Gewalt und Partnerschaftsgewalt. Die vom Bundeskriminalamt im November 2022 vorgestellten Dunkelfeldstudie zeigt, dass bei sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung 2021 nur etwa jede zehnte Straftat der Polizei mitgeteilt wurde (9,5 Prozent). Bei körperlicher sexueller Belästigung liegt die Anzeigequote mit 2,2 Prozent noch niedriger. Auch die erfassten Formen von Partnerschaftsgewalt zeichnen sich durch eine niedrige Anzeigenquote aus. So wurden laut der Studie nur etwa 17 Prozent der körperlichen Angriffe mit einer Waffe in (Ex-) Partnerschaften zur Anzeige gebracht.

Gesellschaftlicher Bewusstseinswandel nötig

Ausgeübt wird geschlechtsspezifische Gewalt in der Partnerschaft, im familiären Kontext und in der Community ebenso wie am Arbeitsplatz, im öffentlichen wie im digitalen Raum. Die körperlichen und seelischen Folgen für die Betroffenen sind schwerwiegend und reichen von emotionalem Schaden und Leid über soziale Stigmatisierung und Isolation bis hin zu lebensbedrohlichen Verletzungen und Tod.

„Die Ursachen der Gewalt gegen Frauen liegen im ungleichen Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern begründet. Die Gewalt richtet sich gegen Menschen allein aus dem Grund, dass sie weiblichen Geschlechts sind“, erklärt Institutsdirektorin Beate Rudolf. Betroffen sind heterosexuelle, lesbische oder bisexuelle Menschen, die sich als Frau identifizieren, auch intergeschlechtliche oder trans Frauen und Mädchen. „Um geschlechtsspezifischer Gewalt vorzubeugen und letztlich zu verhindern, braucht es einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel und mehr Unterstützung für die Betroffenen“, fordert Rudolf.

Die Istanbul-Konvention schützt Frauen und Mädchen vor Gewalt

Der bisher umfassendste Menschenrechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Konvention. Sie zielt darauf ab, Frauen und Mädchen vor jeglicher Form von Gewalt zu schützen und häusliche Gewalt zu bekämpfen. Als völkerrechtlicher Vertrag ist sie rechtlich bindend für die Staaten, die sie ratifiziert haben. In Deutschland trat sie am 1. Februar 2018 in Kraft und verpflichtet Deutschland seither unter anderem dazu, die Beratung und den Schutz der Betroffenen zu stärken und die Bevölkerung, insbesondere Jungen und Männer, für alle Formen von Gewalt zu sensibilisieren. Im Bereich häuslicher Gewalt bzw. Partnerschaftsgewalt verplichtet die Istanbul-Konvention die Vertragsstaaten zusätzlich explizit zum Schutz von Jungen und Männer.

Eine unabhängige Expertinnengruppe des Europarats, kurz: GREVIO, überwacht die Umsetzung der Konvention durch die Staaten. In ihrem ersten Evaluationsbericht zu Deutschland vom Oktober 2022 hat sie deutliche Defizite in der Umsetzung der Istanbul-Konvention benannt. So sind systematische Aussagen über Entwicklungen im Bereich der geschlechtsspezifischen Gewalt nur sehr begrenzt möglich, weil von verschiedenen Stellen sehr unterschiedliche Daten erhoben werden. Zudem sind Menschen aus vulnerablen Gruppen und aus Gruppen mit besonderen Bedarfen überproportional oft von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen, etwa weil für sie erhebliche Hürden beim Zugang zu Schutz- und Beratung existieren.

Aber es geht auch voran: Der GREVIO-Bericht attestiert Deutschland auch positive Umsetzungsschritte und eine Vielzahl von Good-practice-Beispielen in den Bundesländern. Zudem begrüßt er das Vorhaben der Bundesregierung, den Schutz von gewaltbetroffenen Migrantinnen und Migranten zu erhöhen.

Institut etabliert Berichterstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt

Ein wichtiger Schritt bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention ist außerdem die Einrichtung einer unabhängigen Berichterstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt, die am 1. November 2022 am Institut ihre Arbeit aufgenommen hat. Damit erfüllt Deutschland einen Teil der Verpflichtung aus Artikel 10 der Istanbul-Konvention und setzt ein deutliches Zeichen, das nicht zuletzt die Opferschutzperspektive stärken soll. Die Berichterstattungsstelle wird künftig auf Grundlage eines daten- und evidenzbasierten Monitorings praxisorientierte Handlungsempfehlungen abgeben und dazu beitragen, Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt effektiver umzusetzen.

„Das Institut hat zwei Jahre lang ein Konzept für das Monitoring von geschlechtsspezifischer Gewalt entwickelt. Es ist gut dafür gerüstet, staatliche Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul- Konvention kontinuierlich und unabhängig zu beobachten und konstruktiv zu begleiten, damit die Rechte aller Betroffenen geschützt und verwirklicht werden“, sagt Beate Rudolf.

Das Ziel: Geschlechtsspezifischer Gewalt ein Ende setzen

Die Betroffenen als Träger*innen von Rechten stehen im Zentrum der Arbeit der Berichtserstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt. „Ziel ist es, für Frauen und Mädchen den Zugang zu räumlichem und rechtlichem Schutz zu verbessern und andere Formen der Unterstützung zu ermöglichen“, so Rudolf weiter. Im Jahr 2024 wird die Berichterstattungsstelle ihren ersten periodischen Bericht zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland veröffentlichen.

„Um geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern, braucht es einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel und mehr Unterstützung für die Betroffenen.“

© DIMR/A. Illing
Beate Rudolf 
Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte

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