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Istanbul-Konvention gilt künftig vorbehaltlos

Die Istanbul-Konvention verpflichtet alle staatlichen Stellen dazu, die Anforderungen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt umzusetzen. © iStock.com/libre de droit

· Meldung

Die Bundesregierung wird die Vorbehalte gegen das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Konvention) nicht verlängern. Damit gilt der Schutz der Istanbul Konvention künftig auch umfassend für Migrant*innen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte begrüßt diesen Schritt ausdrücklich. Seit Inkrafttreten der Istanbul-Konvention in Deutschland am 1. Februar 2018 fordern das Institut, eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Verbänden und insbesondere Unterstützungs-, Beratungs- sowie Migrant*innenorganisationen die Rücknahme der Vorbehalte und eine vollständige Umsetzung der Konvention, um auch Migrant*innen umfassend vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen.

Die Istanbul-Konvention verpflichtet alle staatlichen Stellen dazu, die Anforderungen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt umzusetzen. Art. 59 Abs. 2 und 3 sowie Art. 44 Abs. 1e) der Konvention hatte die Bundesregierung jedoch mit Vorbehalten belegt und damit deren Rechtswirkungen für Deutschland ausgeschlossen. Mit Nichtverlängerung der Vorbehalte wird die Konvention ab Februar 2023 auch in Deutschland uneingeschränkt gelten. Um die dann vorbehaltlos geltende Istanbul-Konvention vollständig umzusetzen, sind einige Anpassungen erforderlich.

Mangelnder Schutz vor Abschiebung

Art. 59 Abs. 2 Istanbul-Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt, die aufgrund eines Ausweisungs- bzw. Abschiebeverfahrens gegen ihre*n Ehepartner*in mit einem drohenden Verlust des Aufenthaltsrechts konfrontiert sind, die Aussetzung ihrer Abschiebung erwirken können. Ihnen soll stattdessen ermöglicht werden, einen eigenständigen Aufenthaltstitel zu beantragen. Die Verpflichtung sichert das Recht auf einen solchen Titel verfahrenstechnisch ab und soll gewährleisten, dass Betroffene nicht gemeinsam mit gewalttätigen Partner*innen abgeschoben werden. Dafür muss es Betroffenen jedoch effektiv möglich sein, einen eheunabhängigen Aufenthalt erhalten zu können. Die Bundesregierung verweist hierzu auf die Härtefallregelung des § 31 Absatz 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Danach ist Betroffenen häuslicher Gewalt mit abgeleitetem Aufenthaltsrecht ein eigenständiger Aufenthaltstitel, unabhängig von der ansonsten erforderlichen dreijährigen Mindestbestandszeit der Ehe, zu erteilen.

In der Praxis bietet diese Härtefallregelung des § 31 AufenthG Betroffenen jedoch nicht den erforderlichen Schutz. Besonders problematisch sind die überhöhten Anforderungen an einen Nachweis der erfahrenen Gewalt und die uneinheitliche Auslegung des Gewaltbegriffs durch Verwaltungsgerichte und Behörden. Diese stellen hohe Anforderungen an den Nachweis des Zusammenhangs zwischen Gewaltbetroffenheit und Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft.

Verbleiben Betroffene beispielsweise trotz häuslicher Gewalt in der gemeinsamen Wohnung, kehren in diese zurück oder trennen sich nicht unmittelbar und ausschließlich aus eigener Initiative, wird die Unzumutbarkeit des Festhaltens an der Ehe oft angezweifelt. Ein ambivalentes Verhalten zu (ehemaligen) Partner*innen ist in vielen Fällen häuslicher Gewalt jedoch nicht unüblich. Zudem stellen wirtschaftliche Abhängigkeiten, angespannte Wohnungsmärkte und die Angst vor dem Verlust der Aufenthaltserlaubnis gravierende Hürden für Betroffene dar, sich aus der Partnerschaft zu lösen. Die Härtefallregelung greift zudem grundsätzlich nicht, wenn die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des sogenannten Stammberechtigten ausgeschlossen ist.

Für eine vollständige Umsetzung des Art. 59 Abs. 2 Istanbul-Konvention müssen diese Schutzlücken geschlossen werden. Allen ausländischen Ehepartner*innen ist die Möglichkeit einzuräumen, einen frühzeitigen, eigenständigen Aufenthalt zu beantragen, wenn sie von häuslicher Gewalt betroffen sind.

Aufenthaltstitel aufgrund der persönlichen Situation oder zur Mitwirkung im Ermittlungs- oder Strafverfahren

Nach Art. 59 Abs. 3 der Konvention sollen Gewaltbetroffene einen verlängerbaren Aufenthaltstitel erhalten, wenn der Aufenthalt auf Grund ihrer persönlichen Situation oder zur Mitwirkung in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren erforderlich ist.

Für die Kooperation im Strafverfahren ist bisher nur eine verlängerbare Duldung vorgesehen. Eine Duldung stellt aber keinen Aufenthaltstitel dar, sondern bestätigt nur die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Geduldete erhalten zunächst nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und sind damit vom regulären Sozial- und Gesundheitssystem ausgeschlossen. Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt ist beschränkt.

Eine neu zu schaffende Regelung könnte dem § 25 Abs. 4a AufenthG nachgebildet werden, der Betroffenen von Menschenhandel, die als Zeug*innen in Ermittlungs- oder Strafverfahren mitwirken, einen rechtmäßigen Aufenthalt ermöglicht. Sie sollte einen Regelanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung des Ermittlungs- oder Strafverfahrens enthalten sowie die Möglichkeit der Verlängerung aufgrund von persönlichen Gründen, wie zum Beispiel der Behandlung von physischen oder psychischen Verletzungen infolge der Gewalterfahrung. Entsprechend muss die Überlegungsfrist in § 59 Abs. 7 AufenthG auf Fälle häuslicher Gewalt ausgeweitet werden.

Empfehlungen der Expert*innengruppe GREVIO

Zu weiteren Empfehlungen der Expert*innengruppe GREVIO, wie die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland verbessert werden kann, siehe GREVIO-Bericht aus Oktober 2022.

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