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„Ohne Menschenrechte gibt es keinen Frieden“

Die Weltmenschenrechtskonferenz hat den Weg für eine bessere Durchsetzbarkeit der Menschenrechte geebnet. © iStock.com/oonal

Im Juni 1993 fand in Wien die Weltkonferenz für Menschenrechte mit mehr als 10.000 Vertreter*innen von 171 Regierungen, den Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft aus aller Welt statt. Sie gilt bis heute als Meilenstein bei der Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes. Warum?

Beate Rudolf: Dafür gibt es mindestens vier Gründe. Die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz war wichtig, weil die Staatengemeinschaft die Bedeutung der Menschenrechte bekräftigt hat. Sie hat klar gemacht hat, dass Menschenrechte universell, unteilbar und interdependent sind: Sie gelten überall auf der Welt, für alle Menschen, zu jeder Zeit; sie sind gleichrangig – man kann die bürgerlichen und politischen Menschenrechte nicht von den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten trennen – denn sie sind voneinander abhängig und verstärken sich gegenseitig.

Die Weltkonferenz hat zweitens wichtige Impulse für die Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes gegeben, unter anderem für die Schaffung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Sie hat außerdem den Blick auf die Umsetzung der Menschenrechte in den Staaten gerichtet und deutlich gemacht, dass es für die Überwachung und Sicherstellung der Umsetzung tragfähige Strukturen auf nationaler wie internationaler Ebene geben muss.

Die Konferenz hat drittens klargestellt, dass die Förderung von Demokratie, Entwicklung und Menschenrechten als Dreiklang gesehen werden muss. Menschenrechte kann es nicht ohne Demokratie und ohne Entwicklung für alle geben und ohne Menschenrechte gibt es weder Demokratie noch Entwicklung.

Und viertens: Die Wiener Weltkonferenz hat bekräftigt: Frauenrechte sind Menschenrechte. Die Rechte, die seit 1979 in der UN-Frauenrechtskonvention festgeschrieben sind, sind keine Sonderrechte.

Was hat sich seit 1993 getan?

Rudolf: In Folge der Weltkonferenz sind wichtige Menschenrechtsverträge entstanden, beispielsweise die UN-Behindertenrechtskonvention, die die UN-Generalversammlung 2006 nach langem, zähem Ringen verabschiedet hat. Auch das Phänomen des gewaltsamen Verschwindenlassens wurde in Wien in den Blick genommen. Derzeit erleben wir in den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine, was es bedeutet, wenn Menschen in Nacht-und-Nebel-Aktionen in Gefängnissen verschwinden und die Angehörigen im Unklaren über ihr Schicksal bleiben. Die UN-Konvention zum Schutz vor dem Verschwindenlassen von 2006 verurteilt ein solches Vorgehen als schwerste Menschenrechtsverletzung.

Die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz hat auch den Weg für eine bessere Durchsetzbarkeit der Menschenrechte geebnet, indem sie die Verabschiedung von Fakultativprotokollen zur Frauenrechts- und zur Kinderrechtskonvention sowie zum Wirtschafts- und Sozialpakt angestoßen hat. Sie enthalten Verfahren, mit denen Menschen die Verletzung ihrer Rechte vor dem jeweiligen Vertragsausschuss zur Sprache bringen und ihren Staat international zur Verantwortung ziehen können. Das hat die Menschenrechte unglaublich gestärkt, weil die Vertragsausschüsse anhand von Einzelfällen wichtige Rechtsfragen klären und gleichzeitig Menschen zu ihrem Recht verhelfen.

Krieg, Klimakrise, soziale Ungleichheit weltweit: Wie steht es heute um die Verwirklichung der Menschenrechte?

Rudolf: Rassistische Diskriminierung, gerade auch gegenüber geflüchteten Menschen, ist vielerorts ein Menschenrechtsproblem. Auch die Rechte von Menschen mit Behinderungen sind nicht hinreichend verwirklicht. Dass Menschenrechte immer wieder aufs Neue erkämpft werden müssen, erleben wir heute bei der menschen(rechts)feindlichen „Anti-Gender“-Bewegung, die sich gegen die gleichen Menschenrechte von Frauen, trans, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen richten: Diese Bewegungen verweigern Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung und wollen die von ihren eigenen Geschlechterbildern geprägten Machtverhältnisse aufrecht erhalten.

Welche Themen müssen neu auf die menschenrechtspolitische Agenda gesetzt werden?

Rudolf: Ein Beispiel für die Lücken im bestehenden Menschenrechtsschutz sind die Rechte älterer Menschen. Erst seit einiger Zeit wird realisiert, dass sie bislang nicht systematisch in den Blick genommen und ausreichend geschützt sind. Darüber hinaus bedrohen aktuelle Entwicklungen wie die Klimakrise die Menschenrechte überall in der Welt. Digitalisierung und die Entwicklung Künstlicher Intelligenz verlagern Entscheidungen auf Maschinen – wer ist für die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich? Software kann zu Spionagezwecken oder zum Stalking eingesetzt werden, Algorithmen, die auf diskriminierenden Daten beruhen, führen zu rassistischer oder sexistischer Diskriminierung. Hier müssen die Menschenrechte als verbindliche Maßstäbe, die die Wiener Weltkonferenz bekräftigt hat, zum Tragen gebracht werden.

Autoritäre Regime scheren sich wenig um die Menschenrechte, etliche Staaten bestreiten offen ihre Universalität. Welche Folgen hat das für die internationale Ordnung?

Rudolf: Wenn Staaten die Menschenrechte ablehnen oder versuchen, sie mit anderen Inhalten zu füllen, wie es beispielsweise die chinesische Regierung tut, dann ist das eine Abkehr von dem, was spätestens seit der Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte internationaler Konsens ist. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht klar, was es bedeutet, wenn ein Staat die internationale Ordnung ignoriert und ihre Fundamente angreift. Deshalb ist es so wichtig, dass die Staaten, die sich für Menschenrechte einsetzen, in den Vereinten Nationen zusammen mit der Zivilgesellschaft und den Nationalen Menschenrechtsinstitutionen immer wieder auf den bereits erreichten Konsens der Weltgemeinschaft bestehen. Sie müssen Rechtsbruch klar als Rechtsbruch benennen und Versuche abwehren, das Menschenrechtsschutzsystem, beispielsweise durch eine unzureichende Finanzierung, zu schwächen. Denn eines ist klar: Ohne Menschenrechte kann es keinen Frieden und keine Entwicklung geben.

Zur Person

Prof. Dr. Beate Rudolf ist seit 2010 Direktorin des Instituts. Seit 2022 ist sie Mitglied im Vorstand des Europäischen Netzwerks der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (ENNHRI). Von 2016 bis 2019 war sie Vorsitzende des Weltverbands der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (GANHRI).

B.  Rudolf hat  kurze Haare, trägt ein Brille, einen blauen Blazer, eine weiße Bluse, eine rote Kette.
© DIMR/A. Illing

Nationale Menschenrechtsinstitutionen

Die Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte gab den Anstoß für die Verabschiedung der „Pariser Prinzipien“, die Maßstäbe für Nationale Menschenrechtsinstitutionen, durch die UN-Generalversammlung. Heute gibt es in rund 120 Ländern Menschenrechtsinstitutionen, deren Aufgabe es ist, „die Menschenrechte nach Hause zu bringen“. Nationale Menschenrechtsinstitutionen sind seitdem ein wichtiger Treiber für die innerstaatliche Verwirklichung der Menschenrechte.

„Die Menschenrechte von Frauen und Mädchen sind ein unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Bestandteil der universellen Menschenrechte.“

Erklärung der Weltkonferenz für Menschenrechte von Wien, 1993 

Publikationen zu diesem Thema

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