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EU-Lieferkettengesetz: Wichtiger Beitrag zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt

„Wenn viele Unternehmen menschenrechtliche Standards anmahnen, können sie schnell viel bewegen.“ © iStock.com/Art Wager

· Meldung

Nach langwierigen Verhandlungen droht das EU-Lieferkettengesetz durch die Enthaltung der Bundesregierung bei der Entscheidung im Rat der EU kurzfristig zu scheitern. Dabei hat sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag für die Unterstützung eines wirksamen EU-Lieferkettengesetzes ausgesprochen. Was ist das Ziel der EU-Lieferkettenrichtlinie?

Michael Windfuhr: Die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) soll der Ausbeutung von Menschen und Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten entgegenwirken. Sie soll verhindern, dass Produkte oder Dienstleistungen mit Kinderarbeit oder unter unwürdigen oder gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen hergestellt werden. In vielen Bereichen gibt es hohe EU-weite Anforderungen an Produkte, etwa bei der Sicherheit von Medizinprodukten oder beim Spielzeug. Doch das Leib und Leben der Menschen, die Produkte und Dienstleistungen in der Lieferkette herstellen, ist bislang nicht ausreichend geschützt. Das will die europäische Lieferkettenregulierung ändern.

Welchen Einfluss haben Unternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechten in ihren Lieferketten?

Windfuhr: Die Durchsetzung von Menschenrechtsstandards und Kernarbeitsnormen ist in erster Linie Aufgabe der Staaten. Aber in vielen Ländern bleibt die Durchsetzung defizitär, weil Regierungen zu schwach, nicht fähig oder auch unwillig sind. Von dieser Situation haben Unternehmen seit Mitte der 1990er Jahre in der Phase der schnellen Globalisierung besonders profitiert. Der Gedanke, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen einzufordern, entstand als der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die Wirtschaft beim Weltwirtschaftsforum in Davos 1999 um Unterstützung bei der Durchsetzung der Menschenrechte in globalen Lieferketten bat. Die Unternehmen sollen ihren Einfluss geltend machen und mit Zulieferern die Einhaltung von Standards besprechen. Sie sollen mit der ihnen zur Verfügung stehenden Sorgfalt versuchen, diese Mindeststandards einzufordern.

Unternehmen haben selbstverständlich Einfluss auf Lieferanten, besonders wenn sie gemeinsam agieren. Wenn viele Unternehmen menschenrechtliche Standards anmahnen, können sie schnell viel bewegen. Deshalb ist eine europäische Regelung sehr viel wirkungsvoller als vereinzelte nationale Lieferkettengesetze.

Führt die EU-Lieferkettenrichtlinie zu zusätzlichem Aufwand bei den Berichts- und Nachweispflichten für Unternehmen? 

Windfuhr: Nein, denn die Berichtspflichten für Unternehmen würden mit der europäischen Regulierung insgesamt einheitlicher. Die Bundesregierung hat bereits festgelegt, dass die Berichte unter der CSDDD gemäß dem Berichtsstandard der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) erfolgen. Diese ist 2023 in Kraft getreten und wird nun, gestaffelt nach Unternehmensgröße, für alle europäischen Unternehmen und Kapitalgesellschaften verbindlich.

Dieser Berichtspflicht müssen deutsche Unternehmen ohnehin nachkommen. Dieser Bericht kann ohne zusätzlichen Aufwand auch im Rahmen des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes verwendet werden. Scheitert die europäische Lieferkettenregulierung, bleiben unterschiedliche Berichtspflichten unter unterschiedlichen nationalen Sorgfaltspflichtengesetzen bestehen: Ohne die CSDDD müssen Unternehmen also aufwändiger und mehr berichten. Das ist ein besonderer Nachteil für kleinere Zulieferer-Unternehmen, denn sie müssen häufig auch Nachweise gegenüber größeren Unternehmen in der Lieferkette erbringen, unabhängig von der eigenen Verpflichtung. Ein einheitlichtes Berichtsformat für alle Berichtserfordernisse würde sie sehr entlasten.

Welche Vorteile hat die EU-Lieferkettenrichtlinie für die deutsche Wirtschaft?

Windfuhr: Als das deutsche Lieferkettengesetz verhandelt wurde, befürchteten Wirtschaftsverbände, dass deutsche Unternehmen durch einen nationalen Alleingang auf dem europäischen und internationalen Markt benachteiligt würden. Sie forderten deshalb eine europäische Regulierung. Nun liegt sie auf dem Tisch und die Argumentation scheint vergessen.

In einigen EU-Ländern gibt es bereits Sorgfaltspflichtenregulierungen, neben Deutschland auch in Frankreich, Norwegen und den Niederlanden. Die Vorgaben, was die Sorgfaltspflichten genau beinhalten und wer worüber berichten muss, sind in jedem Land unterschiedlich. Ohne einen einheitlichen europäischen Rahmen drohen europäisch tätigen Unternehmen damit verschiedene Berichtspflichten unter der jeweiligen Gesetzgebung; große Unternehmen geben diese auch an kleinere und mittlere Unternehmen weiter, die dadurch besonders belastet bleiben. 

Es ist der Bundesregierung bei den Verhandlungen zur CSDDD gelungen, vieles aus der deutschen Gesetzgebung auch dort zu verankern. Gerade diese Nähe würde es allen Unternehmen, die bereits in die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes investieren, leicht machen, auch der europäischen Regulierung zu entsprechen. Selbst die Haftung geht nicht über die Haftungsregeln des BGB hinaus, die ohnehin für deutsche Unternehmen gelten. Ohne europäische Regulierung bleibt es beim derzeitigen rechtlichen Flickenteppich – im Bereich der Haftung genauso wie bei der Berichtspflicht.

Was würde ein Scheitern der EU-Regulierung für deutsche Unternehmen bedeuten, die ihre Lieferketten bereits sozial nachhaltiger gestalten?

Windfuhr: Mit der Anwendung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten haben viele Firmen – große wie kleine – längst begonnen und konnten erste Erfolge bei der Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten entlang der Lieferkette erzielen. Unternehmen haben sich in diesem Bereich eine gute Reputation erarbeitet und erwarten gleiche Anstrengungen von ihren europäischen Kollegen – und das zu Recht. Verpflichtet man Unternehmen aber nicht europaweit, könnten die Investitionen innovativer Unternehmen, die Vorreiter beim Schutz von Menschenrechten und Umwelt sind, zum Wettbewerbsnachteil werden. Das sendet falsche Signale.

Vorteile hätten Unternehmen auch in schwierigen politischen Kontexten, wenn Standards kaum umgesetzt werden können, etwa in autoritär regierten Ländern, die beim Rohstoffbezug in der Lieferkette kaum zu ersetzen sind. Eine einheitliche europäische Regulierung könnte den Einfluss von einzelnen Unternehmen, aber auch von Brancheninitiativen erheblich vergrößern. Selbst sehr schwierigen Ländern gegenüber, da diese Länder von der Bedeutung eines einheitlichen europäischen Rahmens wüssten. Sollte die EU-Regulierung scheitern, würde die Gestaltungsmacht der europäischen Unternehmen erheblich geschwächt, sie wären den Bedingungen in den Lieferländern viel stärker ausgesetzt.

Sollte sich die Bundesregierung bei der Entscheidung zur Europäischen Sorgfaltspflichtenregulierung im Rat der EU enthalten und deshalb keine ausreichende Mehrheit für die Richtlinie zustande kommen, droht ein langfristiger rechtlicher Flickenteppich in Europa mit negativen Folgen auch für deutsche Unternehmen. Die Arbeit von Unternehmen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfalt würde durch die Blockadehaltung der FDP und einiger Wirtschaftsverbände deutlich erschwert werden – auch auf Kosten von Menschen, die Betroffene von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in globalen Lieferketten sind.

Zur Person

Michael Windfuhr ist seit 2011 stellvertretender Direktor des Instituts. Seit 2016 ist er zudem Mitglied im UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

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