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Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt legt Stellungnahme zur Reform des Kindschaftsrechts vor

Den menschenrechtlichen Verletzungen im Sorge- und Umgangsrecht muss ein Ende gesetzt werden. © Celina Löschau / NbF e.V. / IAPh e.V. / CC BY-NC 4.0

· Meldung

Die Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Instituts hat eine Stellungnahme zur Reform des Kindschaftsrechts vorgelegt. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) veröffentlichte am 25. Januar 2024 ein Eckpunktepapier, das auch Regelungen zum Sorge- und Umgangsrecht beinhaltet. Darin vorgesehen ist mehr Schutz vor häuslicher Gewalt sowie die Stärkung von Kinderrechten. Die Berichterstattungsstelle begrüßt das Vorhaben ausdrücklich, denn derzeit bestehen erhebliche gesetzliche Lücken.

Bekämpfung häuslicher Gewalt  grund- und menschenrechtliche Verpflichtung

„Die Bekämpfung häuslicher Gewalt ist eine grund- und menschenrechtliche Verpflichtung. Das Vorhaben des BMJ, Gewaltschutz im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren explizit zu regeln, ist ein wichtiger Baustein, um dieser Verpflichtung nachzukommen und den aktuell schwerwiegenden menschenrechtlichen Verletzungen im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren ein Ende zu setzen“, erklärt Müşerref Tanrıverdi, Leiterin der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt.

Die Berichterstattungsstelle hat bereits im November 2023 – aufbauend auf zahlreichen zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Forderungen nach einem verbesserten Gewaltschutz im Sorge- und Umgangsrecht – eine umfangreiche Analyse „Häusliche Gewalt im Umgangs- und Sorgerecht – Handlungsbedarfe und Empfehlungen“ veröffentlicht. Diese arbeitet heraus: Im materiellen Recht wie auch im Verfahrensrecht sind umfassende Anpassungen erforderlich, wenn die menschenrechtlich gewährleisteten Gewaltschutzinteressen eines gewaltbetroffenen Elternteils und des Kindes in Fällen häuslicher Gewalt hinreichend berücksichtigt werden sollen. Die Analyse macht dazu konkrete Vorschläge für eine menschenrechtskonforme Umsetzung der Vorgaben aus der Istanbul-Konvention, die im Rahmen der Reform berücksichtigt werden sollten. Die vorliegende Stellungnahme nimmt entsprechend Bezug auf die Analyse und fasst einige für die Eckpunkte relevante Aspekte zusammen.

Besonders positiv an dem Vorhaben ist nach Auffassung der Berichterstattungsstelle, dass sich das BMJ bei der neuen Ausgestaltung des Gewaltschutzes im Umgangs- und Sorgerechtsverfahren ausdrücklich an den Vorgaben der Istanbul-Konvention orientieren will. So sollen die Familiengerichte dazu verpflichtet werden, Anhaltspunkte für häusliche Gewalt systematisch zu untersuchen. Positiv ist zudem die geplante gesetzliche Klarstellung, dass bei Partnerschaftsgewalt ein gemeinsames Sorgerecht grundsätzlich nicht in Betracht kommt.

Tanrıverdi weist jedoch darauf hin, dass es mit Einzelmaßnahmen nicht getan sei: „Bei der Reform sollte der Gesetzgeber beachten, dass das Umgangs- und Sorgerecht durch seine gesamte inhaltliche Ausgestaltung mit aller Deutlichkeit den Gewaltschutz von gewaltbetroffenen Kindern und Elternteilen regelt und sicherstellt.“

Ganzheitlicher Ansatz erforderlich

Der Gewaltschutzgedanke des betroffenen Elternteils und des Kindes muss sich, unter Beachtung des Rechts auf Gehör und Berücksichtigung der Meinung des Kindes (Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention), als ganzheitlicher Ansatz durch alle Regelungen hindurchziehen. In dieser Hinsicht herrscht noch Nachbesserungsbedarf bei der anvisierten Neuregelung. So schlägt die Berichterstattungsstelle etwa ergänzend vor, dass Familiengerichte schon bei Anhaltspunkten von häuslicher Gewalt den Umgang vorerst ausschließen können sollten, noch bevor umfassend ermittelt wurde. Dringend erforderlich sind auch weitere Änderungen im Familienverfahrensrecht, etwa dass in Fällen häuslicher Gewalt „in der Regel“ nicht auf eine einvernehmliche Lösung der Beteiligten im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren hinzuwirken ist.

Anordnung der Umgangspflegschaft keine geeignete Gewaltschutzmaßnahme

Ferner steht die Berichterstattungsstelle der geplanten Anordnung der sogenannten „Umgangspflegschaft“ in Fällen häuslicher Gewalt kritisch gegenüber. Ein*e Umgangspfleger*in wird von Familiengerichten angeordnet, um in Konfliktfällen sicherzustellen, dass das Kind trotz Streitigkeiten zwischen den Eltern Kontakt zu beiden Elternteilen hat. Sie dient daher vorrangig der Realisierung von Umgang und nicht als Maßnahme zum Gewaltschutz. Problematisch ist auch, dass Umgangspfleger*innen keine Qualifikationen oder Fortbildungen vorweisen müssen.

„Derzeit haben am familiengerichtlichen Verfahren beteiligten Berufsgruppen wie Richter*innen oder Jugendamtsmitarbeitende oftmals keine ausreichende Kenntnis über die Dynamiken von häuslicher Gewalt. Das führt dazu, dass sie häusliche Gewalt oft nicht hinreichend erkennen und nicht angemessen reagieren können. Essentiell ist daher, dass mit den geplanten Reformen alle am Verfahren beteiligte Berufsgruppen verpflichtend zu häuslicher Gewalt fortgebildet werden“, so Tanrıverdi.

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