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Institut feierte am 19. März 2021 sein 20-jähriges Bestehen „Es muss sichergestellt werden, dass Menschen, die ausgeschlossen sind, gehört werden“

Anregende Debatte: Hatice Akyün im Gespräch mit Naika Foroutan, Beate Rudolf und Jan-Werner Müller (v. l. n. r) © DIMR/U. Sonnenberg

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Debatte „Demokratie, Rechtsstaat und gesellschaftliches Zusammenleben menschenrechtlich denken“

Jubiläumsfeiern sehen oft so aus: Man blickt zurück, erinnert an die schwierigen Anfänge, gedenkt einzelner Meilensteine und zieht Bilanz. Nicht völlig anders, aber doch eher ungewöhnlich ging es bei der Auftakt-Veranstaltung zum 20jährigen Bestehen des Deutschen Instituts für Menschenrechte am 19. März 2021 zu: Es war eine Debatte im Hier und Jetzt.

„Missstände aufdecken, an Lösungen arbeiten, Parlament und Regierung auch unangenehme Wahrheiten aufzeigen – all das gehört zum Alltag des Instituts“ (Wolfgang Schäuble)

Das zeigte sich gleich zu Beginn der Veranstaltung. Der Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble, betonte in seiner Videobotschaft: „Freiheits- und Grundrechte sind eingeschränkt, wohlgemerkt bei uns und nicht in fernen failed States.“ Damit bezog sich Schäuble zwar vor allem auf die aktuellen Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie, doch er ließ keinen Zweifel daran, dass es auch in weniger krisenhaften Momenten grund- und menschenrechtliche Probleme in Deutschland gibt und er genau hier die Arbeit des Instituts verortet. „Missstände aufdecken, an Lösungen arbeiten, Parlament und Regierung auch unangenehme Wahrheiten aufzeigen und Lösungsbedarfe signalisieren – all das gehört zum Alltag des Instituts.“ Die Stimme des Instituts sei nicht zu überhören und für die sachliche Expertise seien sowohl der Bundestag als auch er dankbar.

„Die Parlamentarier_innen befassen sich ernsthaft und intensiv mit den Institutsberichten“ (Markus Krajewski)

Dank und Anerkennung waren auch die zentralen Punkte im Grußwort des Völkerrechtlers Markus Krajewski, der derzeit Vorsitzender des Kuratoriums des Instituts ist. Er würdigte insbesondere das Engagement der Gründungsmitglieder und ersten Direktor_innen des Instituts: „Vielen erschien es seinerzeit nicht nachvollziehbar, dass ein funktionierender Rechtsstaat eine eigene und unabhängige Institution benötigte, die die Einhaltung und Schutz der Menschenrechte in Deutschland zum Ziel hatte.“ Heute sei dies anders. „Die Parlamentarier_innen befassen sich ernsthaft und intensiv mit den Berichten“, beschrieb Krajewski die Aussprachen des Bundestags zu den Menschenrechtsberichten des Instituts. Für die Zukunft wünscht sich der Kuratoriumsvorsitzende mehr Vielfalt im Institut und in den Gremien: „In puncto Pluralität und Diversität ist noch Luft nach oben.“

Moderiert von der Journalistin Hatice Akyün, diskutierten und analysierten die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller und die Direktorin des Instituts, Beate Rudolf, über das Thema „Demokratie, Rechtsstaat und gesellschaftliches Zusammenleben menschenrechtlich denken“. Es ging also um ebenso grundlegende wie aktuelle Fragen.

„Das Versprechen im Grundgesetz, das die Basis für Pluralität legt, steht im Gegensatz zur Ungleichheit, die zunimmt“ (Naika Foroutan)

Für Foroutan, Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), liegt der Schlüssel für eine Vielzahl sozialer, politischer und wirtschaftlicher Probleme im Umgang Deutschlands mit Migration, Rassismus und Diskriminierung: „Das Versprechen im Grundgesetz, das die Basis für Pluralität legt, steht im Gegensatz zur Ungleichheit, die zunimmt. Die Menschen wissen zunehmend, dass dieses Land nicht so hehr, so tolerant, so aufgeklärt freiheitlich und so gleich ist, wie es verspricht.“ Die Bundesregierung habe sich erst nach den terroristischen Morden in Hanau des Themas Rassismus angenommen: „Die Auseinandersetzung damit, dass Rassismus nicht einfach nur Frage der Einstellung ist, sondern tiefe Verankerung in Strukturen hat, beginnt hier gerade erst. Da liegt Deutschland im internationalen Vergleich sehr weit zurück.“

„Problematisch und gefährlich ist der Trend, dass immer mehr Akteure sagen, wir respektieren die andere Seite gar nicht als Partner im Konflikt“ (Jan-Werner Müller)

Die internationale Perspektive war auch Müller, der an der Princeton University in den USA lehrt, wichtig: „Krise ist ein Moment auf Leben und Tod. Zu sagen, Deutschland erlebe im Moment eine Krise von Leben und Tod, halte ich für alarmistisch.“ Demokratie lebe vom Konflikt, entscheidend sei, wie man ihn ausfechte. „Problematisch und gefährlich ist der Trend, dass immer mehr Akteure sagen, wir respektieren die andere Seite gar nicht als Partner im Konflikt, denn die gehören gar nicht dazu.“ Die Medien müssten gegen rechtspopulistische Parteien klarer Haltung beziehen – ohne zur „PR-Abteilung des Widerstands“ zu werden. Müller warnte vor der tiefen Spaltung in der Gesellschaft, die durch die Corona-Pandemie offen zu Tage getreten sei: „Es gab zwar den Gedanken, wir säßen alle im selben Boot. Doch in Wirklichkeit sitzen die einen auf der Jacht, die anderen ertrinken und ein paar rudern wie irre und können gerade noch mithalten.“

„Die Menschenrechte sind nicht nur ein ethischer Rahmen, sondern rechtlich verbindlich, und daran muss sich die Bunderegierung ausrichten.“ (Beate Rudolf)

Rassismus, Angriffe auf die Demokratie, Corona – damit war der aktuelle Kontext und der Rahmen der Diskussion gesteckt. Auf die Frage „Was macht Ihnen da die größte Sorge?“, antwortete Beate Rudolf, Direktorin des Instituts, ganz klar: „Sorgen bereiten mir Positionen, die die Gleichheit der Menschen und unser rechtstaatlich-demokratisches System in Frage stellen.“ Wenn Hass gesät werde, reiche ein Lippenbekenntnis zu den Menschenrechten nicht aus, ergänzte Rudolf und erläuterte dies des Umgangs mit Geflüchteten. „Die Menschenwürde wird in Frage gestellt, wenn sich eine Flüchtlingspolitik an Ausgrenzung und Abwehr ausrichtet und nicht am Schutz der Menschen, was der Kern der Flüchtlingsrechts ist. Wenn gesagt wird, wir müssen die Toten im Mittelmeer in Kauf nehmen, denn sonst kommen noch viel mehr – dann werden Menschen zum Objekt gemacht und das ist genau die Verletzung der Menschenwürde.“ Die Menschenrechte seien nicht nur ein ethischer Rahmen, sondern rechtlich verbindlich und daran müsse sich die Bunderegierung ausrichten. Dafür streite das Instituts: „Es muss sichergestellt werden, dass Menschen, die ausgeschlossen sind, gehört werden: Dazu gehören Menschen, die migrantisch gelesen werden, Menschen mit Behinderungen, Frauen.“ Es zeige sich – zum Beispiel in Zeiten von Corona –, dass bestimmte Menschen aus dem Blick der Politik geraten.

„Corona, Klimawandel und Rassismus sind die zentralen Themen, die das Institut aktiv mitgestalten will“ (Michael Windfuhr)

Soweit das Hier und Jetzt. Was aber sind die Herausforderungen der Zukunft? Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Instituts, benannte zum Abschluss der Veranstaltung Elemente für eine Strategie des Instituts: Das Werben für eine offene und inklusive Gesellschaft, der Einsatz für Gerechtigkeit und gegen die wachsende Ungleichheit, das Schaffen von Formaten des Austauschs und des Streits sowie der Umgang mit dem Legitimitätsverlust politischer Akteure und Institutionen. Vor allem aber seien Corona, Klimawandel und Rassismus die zentralen Themen, die das Institut aktiv mitgestalten wolle und müsse.

Für eine Debatte all dieser und weiterer Aspekte wird es in den kommenden Monaten reichlich Gelegenheit geben – bei einer Reihe von Veranstaltungen zum 20. Jubiläum des Instituts.

(A. Bermejo)

Debatte Demokratie, Rechtsstaat und gesellschaftliches Zusammenleben menschenrechtlich denken

Die Veranstaltung fand am 19. März 2021 als Livestream mit Gebärdendolmetscher_in statt.

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