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Berliner Landesrecht muss endlich den Anforderungen der UN-BRK gerecht werden

In Bezug auf die Normenprüfung hält sich Berlin bisher weder an die Vorgaben der UN-BRK noch an die Regelung des 2021 neugefassten Landesgleichberechtigungsgesetz. © Andi Weiland/Gesellschaftsbilder.de

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Menschen mit Behinderungen dürfen nicht diskriminiert oder in ihrem Recht auf gleichberechtigte, volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigt werden. Diese Kernanliegen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), müssen in bestehenden Gesetzen wie auch in zukünftigen Gesetzesvorhaben oder untergesetzlichen Regelungen Berücksichtigung finden – auch auf Ebene der Bundesländer.

Anpassungsbedarf des Berliner Rechts an die UN-BRK

Aktuell wird das Berliner Landesrecht den Anforderungen der UN-BRK kaum gerecht. Ein Beispiel ist, dass im Berliner Schulgesetz (SchulG Berlin) kein vorbehaltloses Recht auf schulische Inklusion verankert ist, wodurch Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen der Zugang zu regulären Schulen erschwert wird. Zudem enthält das SchulG Berlin in § 41 Absatz 3a eine Regelung, die das Ruhen der Schulbesuchspflicht für bis zu drei Monate ermöglicht. Dies greift in das Recht der betroffenen Schü­ler*innen auf Bildung gemäß Artikel 24 Absatz 1 UN-BRK ein. Auch die Berliner Bauordnung (BauO Bln) zeigt große Defizite. Dass zum Beispiel Aufstockungen um bis zu zwei Geschosse keine Verpflichtung zum Einbau von Aufzügen nach sich ziehen, führt zu einer unsachgemäßen Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen, die derartige Aus- und Aufbau­ten so nicht nutzen können. Außerdem existiert bisher keine bedarfsgerechte Quote für den Bau von Wohnungen, die uneingeschränkt mit dem Rollstuhl zugänglich und nutzbar sind.

Das Land Berlin ist zur Normenprüfung verpflichtet

Die Überprüfung des Berliner Landesrechts am Maßstab der UN-BRK ist ein entscheidendes Instrument, um diese und weitere Diskriminierungen zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen, um sie zu beheben.

Zur regelmäßigen Durchführung solch einer sogenannten „Normenprüfung“ müssen geeignete Regelungen getroffen werden. So schreibt es in Berlin auch das im Jahr 2021 neugefasste Berliner Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG) in § 8 Absatz 4 vor. „Es ist sehr zu begrüßen, dass das Land Berlin die Verpflichtung zur Durchführung einer Normenprüfung, die sich bereits aus Artikel 4 Absatz 1 a und b der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt, damit landesrechtlich bekräftigt“, so Catharina Hübner, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention am Institut und Leiterin des Projekts „Monitoring-Stelle Berlin“.

Menschenrechtliches Prüfprogramm mit drei Stufen

Das mit der Normenprüfung verfolgte Ziel ist die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen. Sie sollen genau wie alle anderen Menschen von den Menschenrechten Gebrauch machen können (Artikel 1 Unterabsatz 1 UN-BRK). Die Konvention deckt dabei das gesamte Spektrum menschenrechtlich geschützter Lebensbereiche ab und bezieht bürgerliche und politische Rechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ein. Im Rahmen der Normenprüfung müssen diese Rechte beachtet und mit den Vorgaben der Konvention unvereinbare Regelungen nachgebessert und angepasst werden.

Aus Sicht der Monitoring-Stelle umfasst eine vollständige Normenprüfung daher ein menschenrechtliches Prüfprogramm mit drei Stufen:

  • Auf der ersten Stufe, der Relevanzprüfung, wird überprüft, ob die geregelten Lebensbereiche die Belange von Menschen mit Behinderungen überhaupt berühren.
  • Ist dies der Fall, schließt sich die eigentliche Normenprüfung an, zunächst mit einer Vorprüfung zur Normenprüfung (zweite Stufe). Lücken im Geset­zesbestand sollen identifiziert und effektivere rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen wer­den. Im Rahmen der Prüfung auf dieser Ebene sollen nur erste Ansatzpunkte gesammelt werden.
  • Eine detaillierte Analyse bleibt der vertieften Prüfung (dritte Stufe) vorbehalten. Die vertiefte Normenprüfung findet mithilfe von rechtsthemenspezifischen Prüfrastern statt. Diese sind auf ein bestimmtes Rechtsgebiet zugeschnitten und spezifizieren die Anforderungen der UN-BRK. Im Rahmen der vertieften Prüfung des Berliner Schulgesetzes würde vor allem Artikel 24 Absatz 1 bis 4 herangezogen werden. Für die Bauordnung wäre in erster Linie Artikel 9 UN-BRK der Maßstab. Die Prüffragen würden entlang dieser Vorgaben gestellt werden.

Berliner Landesrecht aktuell nicht am Maßstab der UN-BRK überprüft

Berlin hält sich bisher weder an die in der UN-BRK enthaltenen Vorgaben zur Normenprüfung noch an die Regelungen in § 8 Absatz 4 LGBG. Zwar waren bereits in den Jahren 2013/14 Schritte eingeleitet worden, um einige ausgewählte Gesetze und Verordnungen des Berliner Landesrechts im Hinblick auf die Umsetzung der UN-BRK zu überprüfen. Bei diesen ersten Schritten blieb es jedoch; eine erneute Prüfung des bestehenden Berliner Landesrechts hat bisher nicht stattgefunden. Auch künftiges Recht wird in Berlin derzeit nicht systematisch und umfassend auf seine Vereinbarkeit mit der UN-BRK überprüft. Der Fragenkatalog der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Berliner Verwaltung (GGO II) mit fünf Fragen zu den Auswirkungen des Vorhabens auf Menschen mit Behinderungen wird den Anforderungen an eine in der Konvention und im LGBG verpflichtend verankerte Normenprüfung nur teilweise gerecht.

Zu diesem Ergebnis kommt die heute veröffentlichte Analyse „Rechtlicher Handlungsbedarf im Land Berlin zur Umsetzung der UN-BRK. Notwendigkeit einer systematischen Normenprüfung“ der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention. Mittels einer Erhebung in Bund und Ländern hat die Monitoring-Stelle untersucht, inwieweit das Konzept der Normenprüfung bereits angewendet wurde.

Andere Bundesländer zum Vorbild nehmen

„Bisher gibt es lediglich einige wenige Bundesländer, die bei der Überprüfung sowohl von bestehendem Recht als auch von künftigem Recht bereits mit mehrstufigen und teils umfangreichen Normenprüfrastern arbeiten. Zu nennen sind hier Hessen (künftiges Recht), Nordrhein-Westfalen (bestehendes und künftiges Recht), Sachsen-Anhalt (bestehendes und künftiges Recht) und Thüringen (bestehendes Recht). Besonders hervorzuheben ist das Land Hessen, da nur hier bereits über 30 rechtsthemenspezifische Prüfraster zur Verfügung stehen“, erläutert Ezgi Aydınlık, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Monitoring-Stelle Berlin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention.

Auch im Land Berlin sollte für die Überprüfung von bestehendem sowie künftigem Recht die Verwendung eines Normenprüfrasters, wie es bereits in Sachsen-Anhalt oder Hessen zur Anwendung kommt, verpflichtend vorgeschrieben sein. „Spätestens im Rahmen der vertieften Normenprüfung empfiehlt es sich, neben dem federführenden Ressort weitere Akteure, etwa den Focal Point der Sozialverwaltung, die Arbeitsgruppen Menschen mit Behinderungen, den Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen sowie die*den Landesbeauftragte*n für Menschen mit Behinderungen frühzeitig zu beteiligen. Hier können und sollten die bereits vorhandenen Strukturen im Land Berlin effektiv genutzt werden“, konstatiert Hübner.

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