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Behindertengleichstellungsgesetze: Bund-Länder-Vergleich zeigt Rechtsschutzlücken

Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen braucht Gesetzesänderungen auf Bundes- und Länderebene. © iStock/inside-studio

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„Die Behindertengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder spielen eine zentrale Rolle für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Mittlerweile existieren in einigen Gesetzen gute Standards, die es in die Breite zu tragen gilt. Daneben sind weitere Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK erforderlich“, so Catharina Hübner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention und Leiterin des Projekts Monitoring-Stelle Berlin.

Zu diesem Ergebnis kommt der heute veröffentlichte Rechtsvergleich der Behindertengleichstellungsgesetze auf Bundes- und Landesebene der Monitoring-Stelle UN-BRK des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Mit Blick auf die Umsetzung der UN-BRK wurde zu elf Schlüsselthemen verglichen, ob diese in de­n jeweiligen Gesetzen vorhanden und wie sie gegebenenfalls konkret ausgestaltet sind. Die sich ergebenden Verbesserungsbedarfe werden durch Empfehlungen zu Gesetzesänderungen auf Bundes- sowie Landesebene in dazugehörigen Factsheets aufgeführt.

Verglichen wurden etwa der Behinderungsbegriff, die Verankerung von „angemessenen Vorkehrungen“, Regelungen zu barrierefreier Kommunikation und zum Verbandsklagerecht sowie zur Einrichtung einer Fachstelle Barrierefreiheit, einer Schlichtungsstelle und eines Partizipationsfonds, die Rechtsstellung der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen und die Beauftragung einer unabhängigen Monitoringstelle. Eine Ergänzung der Übersicht um die Regelungen zu den Beiräten für Menschen mit Behinderungen, zur Teilhabeberichterstattung und zur Normenprüfung ist geplant.

Änderung der Formulierung „geistige Beeinträchtigung“ nötig

Dass das menschenrechtsbasierte/soziale Modell von Behinderungen mittlerweile allen Behindertengleichstellungsgesetzen zu Grunde liegt, ist im Sinne der UN-BRK begrüßenswert. Die Wechselwirkung zwischen Beeinträchtigung und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren wird demnach berücksichtigt.

„Änderungsbedarf besteht jedoch in Bezug auf die Formulierung ‚geistige Beeinträchtigung‘“, so Hübner. Entgegen dieser 2009 gewählten Übersetzung in Artikel 1 Satz 2 UN-BRK, sollte in Anlehnung an den englischen Originalwortlaut der Konvention („intellectual ­­­­­­impairments“) vorzugsweise der Begriff „intellektuelle Beeinträchtigung“ verwendet werden. Der Begriff „geistige Beeinträchtigung“ wird sowohl von Selbstvertretungsorganisationen als auch im wissenschaftlichen Diskurs abgelehnt. Positiv ist das Land Berlin hervorzuheben. Hier enthält das Landesgleichberechtigungsgesetz die Formulierung „intellektuelle Beeinträchtigung“.

Regelungen zu „angemessenen Vorkehrungen“ nachbessern und Sanktionen einführen

Außer in Brandenburg und Baden-Württemberg finden sich in allen anderen Behindertengleichstellungsgesetzen Regelungen zu „angemessenen Vorkehrungen“, d.h. spezifischen Maßnahmen, die die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Einzelfall ermöglichen. Trotz dieser positiven Entwicklung findet das Prinzip der angemessenen Vorkehrungen weder im politischen Diskurs noch in der Verwaltungspraxis ausreichend Beachtung. Um das Konzept der angemessenen Vorkehrungen zu konkretisieren und praxistauglich auszugestalten, sollte sich an den Leitlinien zur Umsetzung der Pflicht zur Bereitstellung angemessener Vorkehrungen des UN-Fachausschusses in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 6 orientiert werden. Außerdem ist eine Ergänzung der Regelungen in den Behindertengleichstellungsgesetzen um eine Pflicht zur Vornahme von angemessenen Vorkehrungen zu empfehlen.

„Darüber hinaus braucht es wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen, wenn gegen Vorgaben zum Abbau von Barrieren und zur Gewährleistung von angemessenen Vorkehrungen verstoßen wird“, so Hübner.

Barrierefreie Kommunikation umfassend durch Leichte Sprache ermöglichen

Menschen mit Behinderungen sind beim Kontakt mit Behörden unter Umständen auf die Verwendung von Gebärdensprache, Brailleschrift oder Einfache beziehungsweise Leichte Sprache angewiesen. In den Behindertengleichstellungsgesetzen sind Regelungen zu „Verständlichkeit und Leichter Sprache“ auf Bundesebene und außer in Baden-Württemberg und Niedersachsen in allen anderen Bundesländern vorhanden. Um einen transparent einklagbaren Rechtsanspruch auf barrierefreie Kommunikation zu gewährleisten, sollten jedoch nicht lediglich Soll-, sondern – wie bereits im Land Berlin – Muss-Vorschriften zur Verwendung der Leichten Sprache verankert werden.

Institutionelle Neuerungen flächendeckend etablieren

Die überwiegend guten Erfahrungen mit den zuerst auf Bundesebene etablierten Instrumenten Partizipationsfonds, Fachstelle für Barrierefreiheit und Schlichtungsstelle machen deutlich, dass entsprechende Regelungen in den Behindertengleichstellungsgesetzen aller Länder zur Schließung von Anwendungslücken notwendig sind.

Partizipationsfonds, welche die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten finanziell fördern, existieren außer im Bund erst in fünf Bundesländern. Positiv sticht auch hier das Land Berlin heraus, in dem in Anlehnung an die Allgemeine Bemerkung Nr. 7 des UN-Fachausschusses Selbstvertretungsorganisationen bevorzugt gefördert werden.

Fachstellen für Barrierefreiheit sind neben der Bundesebene mittlerweile in acht Bundesländern verankert. Wichtig ist, dass die Fachstellen für Barrierefreiheit als unabhängige Institution errichtet werden. Die Aufgabenkataloge sollten um die Aufnahme der Durchführung von Schulungen zur Barrierefreiheit – gerade auch in privaten Unternehmen – erweitert werden.

Schlichtungsstellen bieten ein niedrigschwelliges Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten mit Bezug zu einem Recht nach dem jeweiligen Behindertengleichstellungsgesetz. Neben dem Bund sehen sechs Länder die Einrichtung einer Schlichtungsstelle vor.

Rechtsdurchsetzung gewährleisten

Es ist sehr zu begrüßen, dass im Bund und allen Ländern in den Behindertengleichstellungsgesetzen ein Verbandsklagerecht verankert ist. Die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung in Deutschland bleibt jedoch hinter den konkreten Anforderungen von Artikel 5 UN-BRK zurück.

So sollten die zulässigen Klagearten – wie bereits im Land Berlin – um Leistungs- und Verpflichtungsklagen ergänzt werden, um die unmittelbare Beseitigung von Rechtsverstößen zu ermöglichen. In Bezug auf die Klagegegenstände sollte anstatt einer abschließenden Aufzählung eine Generalklausel eingeführt werden. Um das Kostenrisiko für die klagenden Verbände zu reduzieren, sollte die Einrichtung eines Fonds zur Finanzierung von Verbandsklagen mit hinreichenden Erfolgsaussichten geprüft werden.

Land Berlin Vorreiter beim gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung

Im Ergebnis kann mit Stand Juni 2023 konstatiert werden, dass das Land Berlin mit großem Abstand die meisten der verglichenen Regelungen in seinem Landesgleichberechtigungsgesetz verankert hat. Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt sowie der Bund, Sachsen, Bremen, Niedersachsen und das Saarland bilden in dieser Rangfolge das Mittelfeld. Schlusslichter sind die Länder Thüringen, Bayern, Brandenburg, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern (ebenfalls in dieser Rangfolge).

Das Diagramm macht deutlich, dass der gesetzliche Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen im Land Berlin mit großem Abstand am fortschrittlichsten ist. Das Mittelfeld bilden Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, der Bund, Sachsen, Bremen, Niedersachsen und das Saarland. Schlusslichter sind Bayern, Brandenburg, Thüringen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Hinweis: Länder mit gleichem Punktwert sind in alphabetischer Reihenfolge angeordnet. Diese alphabetische Reihenfolge bedeutet keine zusätzliche Abstufung gegenüber anderen Bundesländern mit gleicher Punktzahl. © DIMR
Die folgende Grafik zeigt, welche der verglichenen Regelungen derzeit auf Bundes- bzw. Landesebene gesetzlich verankert sind. Zusammenfassend ist festzustellen, dass in einigen Bereichen bereits gute Fortschritte erzielt wurden. Der Vergleich zeigt jedoch auch, dass Gesetzesänderungen- und -ergänzungen notwendig sind, um Menschen mit Behinderungen flächendeckend einen gleichen und hochwertigen Schutz vor Diskriminierung zu gewährleisten.
Hinweise: *a) Bayern und Hamburg: ohne gesetzliche Regelung vorhanden, *b) Rheinland-Pfalz und Saarland: Kann-Vorschrift, *c) Saarland: Keine Fonds, aber zur Förderung der Teilhabe werden jährlich je schwerbehinderten Menschen 70 € in den Staatshaushalt eingestellt, *d) Mecklenburg-Vorpommern: Hier werden die Aufgaben eines Behindertenbeauftragten vom Bürgerbeauftragten wahrgenommen, *e) Bremen, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein: ressortübergreifend fehlt, *f) *g) Bund: nicht im BGG geregelt, *h) *Mecklenburg-Vorpommern: nicht im Gesetz, aber im Koalitionsvertrag, *i) Schleswig-Holstein: § 24 Absatz 1 Nr. 4 LBGG-SH regelt zwar, dass es Aufgabe der oder des Landesbeauftragten ist, die Aufgaben nach Artikel 33 Absatz 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) wahrzunehmen (Monitoring-Stelle). Der oder die Landesbeauftragte erfüllt jedoch nicht die in Artikel 33 Absatz 2 UN-BRK vorgegebenen Kriterien und ist demzufolge hier nicht als „unabhängige Monitoringstelle“ aufgeführt.
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