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Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen Analyse zu häuslicher Gewalt: Lücken im Umgangs- und Sorgerecht - Rechtsreformen dringend nötig

Um zentrale Schutzlücken für Betroffene – in der Regel Frauen und Kinder – zu schließen, braucht es eine Reform des Umgangs- und Sorgerechts. © DIMR/B. Dietl

· Pressemitteilung

Häusliche Gewalt wird im Umgangs- und Sorgerecht nicht ausreichend berücksichtigt. Zu diesem Schluss kommt die Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die heute in Berlin die Analyse „Häusliche Gewalt im Umgangs- und Sorgerecht“ veröffentlicht hat.

Die Istanbul-Konvention des Europarats, die in Deutschland seit 2018 im Rang eines Bundesgesetzes gilt, definiert häusliche Gewalt als Menschenrechtsverletzung. Die Konvention gibt in Artikel 31 vor, dass häusliche Gewalt in Verfahren und Entscheidungen zum Umgangs- und Sorgerecht zu berücksichtigen ist

„In der Praxis nehmen deutsche Gerichte viel zu selten Bezug auf die Vorgaben der Istanbul-Konvention. Um zentrale Schutzlücken für Betroffene – in der Regel Frauen und Kinder – zu schließen, braucht es eine Reform des Umgangs- und Sorgerechts, die eine Änderung der einzelnen materiell-rechtlichen Regelungen des Umgangs- und Sorgerechts ebenso wie Anpassungen im Verfahrensrecht umfasst. Unsere Analyse macht dazu konkrete Vorschläge“, erklärt Müşerref Tanrıverdi, Leiterin der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt. Die Sicherheit des gewaltbetroffenen Elternteils und der Kinder müsse immer Vorrang haben vor dem Umgangs- und Sorgerecht des gewaltausübenden Elternteils.

Die Berichterstattungsstelle empfiehlt insbesondere eine Verankerung der Schutzinteressen des gewaltbetroffenen Elternteils in den speziellen Regelungen zum Umgangs- und Sorgerecht. Nötig sei auch eine Definition von häuslicher Gewalt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) entsprechend der Istanbul-Konvention. Danach umfasst der Begriff alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer und wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partner*innen, unabhängig davon, ob der*die Täter*in denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte. Zudem müsse die Berücksichtigung des Kindeswohls gemäß UN-Kinderrechtskonvention durch Gehör der Meinung des Kindes weiter gestärkt werden.

Weitere Reformvorschläge betreffen unter anderem Anpassungen zur sogenannten Regelvermutung und zur Wohlverhaltensklausel. Der Regelvermutung entsprechend wird bisher üblicherweise der Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen angestrebt, weil das Kind ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen hat und dieser dem Kindeswohl entspricht. In Fällen von häuslicher Gewalt empfiehlt die Berichterstattungsstelle die Regelvermutung künftig umzukehren, so dass die Kindeswohldienlichkeit des Umgangs mit dem gewaltausübenden Elternteil stets positiv festgestellt werden muss. Ähnliches gilt für die Wohlverhaltensklausel, die getrennte Elternteile verpflichtet, alles zu unterlassen, was die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtigt. Hier wird empfohlen sicherzustellen, dass die Belange der von häuslicher Gewalt betroffenen Person stärker berücksichtigt werden.

Mit Blick auf Verfahren in Familiensachen empfiehlt die Berichterstattungsstelle etwa die Pflicht zur Amtsermittlung zu konkretisieren und getrennte Anhörungen zu ermöglichen. Grundsätzlich sollten alle Beteiligten an Umgangs- und Sorgerechteverfahren – seien es Richter*innen, Verfahrensbeiständ*innen, Sachverständige oder Jugendamtsmitarbeitende – zu allen Aspekten häuslicher Gewalt verbindlich und umfassend geschult werden.

„Wir hoffen sehr, dass unsere Vorschläge im Rahmen der aktuellen Überlegungen zur Reform des Sorge- und Umgangsrechts aufgegriffen und umgesetzt werden. Häusliche Gewalt ist grundsätzlich Ausdruck und Folge struktureller Probleme. Deswegen ist über die gesetzlichen Reformen hinaus ein ganzheitlicher Ansatz nötig, der eine Vielzahl von abgestimmten politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen umfasst. Letztlich braucht Deutschland eine evidenzbasierte, umfassende und koordinierte Strategie – nur so lässt sich geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt im Sinne der Istanbul-Konvention bekämpfen“, betont Tanrıverdi. „Wir begrüßen, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend derzeit eine Koordinierungsstelle nach der Istanbul-Konvention einrichtet und eine Bundesstrategie zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aufsetzt. „Wichtig ist, dass diese Strategie zügig erarbeitet und umgesetzt wird und alle relevanten Stellen einbezogen werden – so auch die Zivilgesellschaft.“

Die Istanbul-Konvention

Die Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt) ist der bisher umfassendste Menschenrechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Die Istanbul-Konvention ist seit 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft.

Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt

Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist von der Bundesregierung damit betraut worden, eine unabhängige Berichterstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt einzurichten. Sie hat die Aufgabe, die Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats unabhängig zu beobachten und zu begleiten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert die vierjährige Aufbauphase der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt.

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