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Rechtsstaatlichkeit in Europa sichern

© Christian Weber

· Meldung

Internationale Online-Konferenz unterstreicht die unverzichtbare Rolle einer unabhängigen Justiz für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Schutz der Menschenrechte in Europa

In Europa erstarken autoritäre politische Strömungen, die rechtsstaatliche Institutionen und Verfahren aushebeln wollen und die Gewaltenteilung sowie die Bindung aller Staatsgewalt an die Grund- und Menschenrechte in Zweifel ziehen. Um das Bewusstsein der Menschen in Deutschland, Polen und Europa für die Bedeutung der Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und ihre zentrale Rolle für den Schutz der Menschenrechte aufzuzeigen, veranstalteten die Nationalen Menschenrechtsinstitutionen Deutschlands und Polens gemeinsam mit der Freien Hansestadt Bremen und dem Menschenrechtszentrum Poznań am 25. Juni 2020 eine internationale Online-Konferenz. Mit mehr als 700 Anmeldungen, vor allem aus Polen und Deutschland, aber auch aus  anderen Ländern Europas und darüber hinaus, stieß die hochrangig besetzte Konferenz zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli 2020 auf großes Interesse.

„Vor wenigen Jahren wäre Rechtsstaatlichkeit kein Thema gewesen, über das wir sprechen müssten. Demokratie und politische Stabilität waren eine unverrückbare Größe, deren Haltbarkeit ohne eigenes Zutuen unbegrenzt scheint. Doch die Zeiten haben sich geändert.“ Andreas Bovenschulte, Bürgermeister von Bremen

Die Konferenz eröffneten Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, und Maciej Taborowski, Stellvertretender Ombudsmann der Republik Polen für Bürger- und Menschenrechte. Der Präsident des Bremer Senats, Bürgermeister Andreas Bovenschulte, und die Stadtpräsidentin Danzigs, Aleksandra Maria Dulkiewicz, erklärten, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie heute nicht mehr selbstverständlich seien. Es bedürfe aktiven Handelns, um dem rau gewordenen politischen Klima etwas entgegenzusetzen und die gemeinsame europäische Idee am Leben zu erhalten. Eine positive Gegenbewegung komme aus den Städten und Gemeinden, die Zeichen für eine liberale und demokratische Entwicklung setzen wollten. Bovenschulte und Dulkiewicz betonten die Bedeutung von Austausch und Kooperation im Rahmen von Städtepartnerschaften. Danzig ist bereits seit 1976 eine der Partnerstädte Bremens.

„Wenn die Europäische Union zulässt, dass EU-Recht ignoriert wird, verheißt das nichts Gutes für die europäische Integration. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte eine große Rolle bei der Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit spielen.“  Adam Bodnar, Ombudsmann der Republik Polen für Bürger- und Menschenrechte

Die Diskussion über die Bedeutung der Unabhängigkeit der Justiz wurde durch Impulsreferate von Małgorzata Gersdorf (ehemalige Präsidentin des polnischen Obersten Gerichts) und Ulrich Maidowski (Richter des Bundesverfassungsgerichts) eröffnet. Am Bespiel des polnischen Angriffes auf die Unabhängigkeit der Richter_innen entstand eine rege Debatte zwischen Wlodzimierz Wróbel (Richter des polnischen Obersten Gerichts), Angelika Nußberger (Mitglied der Venedig-Kommission, Ex-Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) und Ulrich Maidowski (Richter des Bundesverfassungsgerichts) über die Frage, wer die Unabhängigkeit der Justiz schützt und welche Rolle Europäische Gerichte spielen. Moderiert wurde die Debatte von Armin von Bogdandy (Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht).

„Rechtsstaatlichkeit ist deshalb so wichtig, weil sie die Achtung aller anderen Werte, auch der Demokratie und Grundrechte, garantiert. Die EU-Kommission bleibt der Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit in der EU mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verpflichtet.“ Didier Reynders, EU-Kommissar für Justiz

Im Fokus des zweiten Teils der Online-Konferenz stand die deutsche EU-Ratspräsidentschaft verbunden mit der Leitfrage, was Deutschland im Rahmen seines Vorsitzes zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Europa beitragen kann. Es diskutierten Didier Reynders (EU-Kommissar für Justiz), Irina Speck (Leiterin des E-Stabs im Auswärtigen Amt), Adam Bodnar (Ombudsmann der Republik Polen für Bürger- und Menschenrechte), Beate Rudolf (Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte) und Magdalena Adamowicz (Mitglied des Europäischen Parlaments). Unter der Moderation von Maximilian Steinbeis (Herausgeber des Verfassungsblogs) wurde unter anderem über die Auswirkungen der EZB-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf das Zusammenwirken der Gerichte in Europa, der Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und die Beachtung der Menschenrechte angesichts aktueller Herausforderungen wie der COVID-19-Pandemie diskutiert. Reynders plädierte dafür, die Auszahlung von Geldern zu stoppen oder auszusetzen, wenn ein EU-Mitgliedstaat systematisch gegen Rechtsstaatsprinzipien verstoße.

„Die Unabhängigkeit der Justiz ist keine Frage nationaler Souveränität, sondern gemeinsamer europäischer Standards und unserer Grundrechte. Ein kontinuierliches Rechtsstaats-Monitoring aller EU-Mitgliedstaaten ist notwendig und nur Staaten mit unabhängiger Justiz sollten Geld aus dem EU-Haushalt erhalten.“ Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte

Großen Konsens gab es darüber, dass Deutschland eine Schlüsselrolle bei der Beantwortung der Frage einnimmt, wie angesichts der Entwicklungen in Polen oder Ungarn die Rechtsstaatlichkeit in der EU gesichert werden kann. Grażyna Baranowska ,(Menschenrechtszentrum Poznań) brachte als Anwältin des Publikums die Chat-Fragen des Publikums in deutscher, polnischer und englischer Sprache in die Diskussion ein.

Mitschnitt der Veranstaltung

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