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EGMR, 07.04.2022, Beschwerde-Nr. 10929/19.

EGMR, Urteil vom 07.04.2022, Beschwerde-Nr. 10929/19 (Landi gegen Italien)

Orientierungssätze

I. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt in Bezug auf die Beschwerdeführer*in einen Verstoß gegen Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) fest. Der Grund sind mangelnde Ermittlungen trotz Gefahr für Leib und Leben der Beschwerdeführer*in und ihrer Kinder. Das Gericht spricht der Beschwerdeführer*in einen Schadensersatz von 32.000 Euro gegen Italien zu.

II. In dem Beschwerdeverfahren gab die Beschwerdeführer*in an, seit 2015 unter den psychischen Störungen und der Gewalt ihres damaligen Partners N. P. gelitten zu haben. Obwohl sie ihn mehrfach angezeigt habe, seien von den Behörden keine Ermittlungen eingeleitet worden. Nach einem Jahr habe sie die Anzeigen gegen ihn zurückgenommen, allerdings 2018 erneut mehrfach Anzeige gegen ihn erstattet, da er sowohl ihr als auch den gemeinsamen Kindern gegenüber mehrfach gewalttätig geworden sei. Auch diese Anzeigen zog die Beschwerdeführer*in später zurück. Im Jahr 2018 beging N. P. einen Mordversuch an der Beschwerdeführer*in und ermordete das gemeinsame Kind. Die Behörden trugen vor, es seien keine Ermittlungen durchgeführt worden, weil die Beschwerdeführer*in ihre Anzeigen zurückgenommen habe.

III. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist darauf hin, dass aus Art. 2 EMRK folgt, präventive und umsetzungsfähige Maßnahmen zum Schutz von Leib und Leben von Individuen zu veranlassen, die aufgrund krimineller Handlungen bedroht sind. Daher müssen die zuständigen Behörden bei Erlangung von Kentnissen, die den Verdacht einer Gefahr für das Leben der Betroffenen begründen könnten, unmittelbar und proaktiv eingreifen und zwar unabhängig davon, ob die mutmaßlichen Betroffenen Anzeigen erstatten oder nicht eingreifen. Die Behörden, insbesondere die Staatsanwaltschaft, verstießen im vorliegenden Fall gegen ihre Verpflichtung, unmittelbar und proaktiv das Risiko zu bewerten, das von der wiederholten Gewalt des N. P. ausging, auch wenn die Beschwerdeführer*in ihre Anzeigen mehrmals zurückzog. Damit wird ein Verstoß gegen Art. 2 EMRK angenommen.
Der EGMR bezog in seine Entscheidung auch einen Evaluierungsbericht der Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) mit ein. Diesem zufolge sollte Italien eine Gesetzeslücke schließen, aufgrund der es in Zivilprozessen bis dato nicht möglich war, gegen Behörden vorzugehen, die gegen ihre Pflicht verstoßen haben, Präventions- und Schutzmaßnahmen für Betroffene von häuslicher Gewalt einzuleiten.

IV. Art. 2 EMRK, Art. 44 Abs. 2 EMRK.

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