Im Fokus

Zwangsmaßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe

© DIMR/Kittel

In Deutschland leben etwa 250 000 Kinder und Jugendliche außerhalb ihrer Herkunftsfamilien in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder in Pflegefamilien. Die sogenannte Fremdunterbringung hat sich in den letzten Jahren stark differenziert und ausgeweitet. Im Bereich der stationären Einrichtungen haben freiheitsentziehenden Maßnahmen zugenommen. Die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) möchte die kontroverse fachliche und politische Debatte um freiheitsentziehende Maßnahmen aufgreifen und um eine kinderrechtliche Perspektive ergänzen. Die UN-KRK legt fest, dass keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich entzogen werden darf. Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen nur im Einklang mit dem Gesetz, als letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit vorgenommen werden. Bei der Staatenberichtsprüfung Deutschlands 2014 hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes betont, dass freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern nur als letztes Mittel, für einen möglichst kurzen Zeitraum und unter regelmäßiger Überprüfung zulässig sind.

Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention

Es ist ein Kernanliegen der UN-KRK, Kinder in ihrer Subjektstellung zu stärken. Sie sollen als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten, eigener Würde und eigenen Bedarfen respektiert und ernst genommen werden. In Deutschland gelten die in der UN-KRK festgeschriebenen Rechte bereits seit 1992 als verbindlich geltendes Recht, auf das sich „(…) alle Menschen in Deutschland, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet“ haben, berufen können (Artikel 1 UN-KRK). Nach Auffassung des KRK-Ausschusses sind die Vertragsstaaten und ihre staatlichen Akteur*innen verpflichtet, dem Kind zu ermöglichen und es zu ermutigen, seine Perspektive mitzuteilen, eine eigene Meinung zu entwickeln und diese auszudrücken; das Ergebnis dieser Meinungsbildung ist dann anzuerkennen. Im Jahr 2020 feierte das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung sein 20-jähriges Jubiläum. Das Gesetz stellt klar: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Das Gesetz bezieht sich auf Artikel 19 UN-KRK.

Gesetzliche Regelung in Deutschland

Die hoch differenzierte Ausgestaltung von freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland zeigt, dass neben der fachlichen zunehmend auch eine politische Akzeptanz zu verzeichnen ist. Aus kinderrechtlicher Perspektive und angesichts der Schwere der Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte der betroffenen Kinder und Jugendlichen ist dies eine sehr besorgniserregende Entwicklung. 2017 wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) mit dem Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern, die außerhalb der Familie untergebracht sind, die Einholung einer familiengerichtlichen Genehmigung erstmals gesetzlich geregelt (§ 1631b BGB). Die Rechtsnorm § 1631b stellt einen Zusammenhang zwischen Kindeswohl und freiheitsentziehender Maßnahme her. Dabei werden die Gründe, in denen eine freiheitsentziehende Maßnahme zulässig wäre und eine Genehmigung nicht auf erhebliche Fremd- und Selbstgefährdung beschränk ist, nicht abschließend aufgelistet. Somit kann eine Genehmigung auch aus anderen, dem Kindeswohl vermeintlich dienlichen Gründen erforderlich sein. In diesem Jahr soll die gesetzliche Änderung evaluiert werden. Die Monitoring-Stelle UN-KRK hat schon bei der Einführung des Gesetzes die Frage aufgeworfen, ob diese Rechtsnorm zur Vermeidung von freiheitsentziehenden Maßnahmen beitragen oder diese eher rechtfertigen werde.

Die Vereinten Nationen diskutieren

Inwieweit freiheitsentziehende Maßnahmen mit menschen- und grundrechtlichen Vorgaben vereinbar sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Einige Menschenrechtsgremien und das Bundesverfassungsgericht halten sie als letztes Mittel („ultima ratio“) unter strengen Auflagen für zulässig. Im September 2021 wird der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes einen „Day of General Discussion“ veranstalten, bei dem es um die Fremd-Unterbringung von Kindern gehen wird. Die Monitoring-Stelle wird sich mit einer Stellungnahme zur Problematik der freiheitsentziehenden Maßnahmen in die Diskussion einbringen.

Publikationen zu diesem Thema

Ansprechpartner*in

Judith Feige

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 462

E-Mail: feige(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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